Heute sind meine Erinnerungen an meine Kindheit nur noch dunkel. Ich sehe Bilder meiner Eltern, meiner Großmutter, die schon viel zu früh von uns gehen musste. Doch ich weiß auch, sie wacht über mich, zeigt mir den Weg, den ich gehen muss. Großvater warnte mich schon früh vor der Politik und vor Frauen. Sie würden nur Unglück bringen und dein Herz zerreißen. Einiges prägte mich, wiederum anderes beschloss ich, würde ich selbst für mich entdecken, was wie ich heute finde die Beste Taktik war.
Die Erinnerungen verschwimmen, mit den Eindrücken der heutigen Zeit. Aus heutiger globaler Sicht, weiß ich, wir waren arm. Jedenfalls im Vergleich zu dem „gelobten Land“ von dem Großvater immer sprach. Meine Vater relativierte diese Aussage immer. Er sagte, sie hätten zwar etwas, dass mit Wohlstand zu vergleichen ist, aber dass sie oder ihre Führer der EU vorgeben, was das bedeutet. Auch sie, führte er damals fort, hätten einerseits ihren Preis zu zahlen. Wie jeder von uns. Das Leben war ein Zerwürfnis. Nicht unbedingt zu meinen Kindertagen. Ich war zufrieden, weil ich nicht wusste, das es mehr geben könnte. Natürlich weiß jeder wovon ich rede. Dein Blick als Kind ist lokal. Deine eigene private Blase der Weltanschauung reicht knapp bis zur Haustüre und doch bist du bereits jetzt in der Lage zwischen richtig und falsch zu urteilen. Natürlich nur begrenzt. Aber wirklich falsch?
Später aber, weitete sich dieser Horizont. Es gibt Einflüsse von Ost und von West. Die erreichte Unabhängigkeit. Ein Zeichen, dass auch wir bald ein Teil des gelobten Landes werden würden. In den letzten Tagen seines Lebens, sprach mein Großvater fast nur noch davon.
Wir, ich würde die Zukunft erleben. Die Zukunft der Menschheit, die unserer Landes, aufgehend in der Sonne von West. Auch hier schaltete sich mein Vater ein. Nicht im Angesicht seines Vaters, um ihn in seinem Stolz nicht zu verletzen, aber doch mir gegenüber. Er sagte, es werde der Tag kommen, an dem wir stark sein müssen. An dem die Spannungen zwischen Ost und West zur Zerreißprobe werden würde. Und auch, dass uns Ost, nicht einfach gehen lassen würde. Ich hatte beide nicht ernst genommen. Ich hatte gedacht, es würde wie es bisher immer war, durch eine politische Auseinandersetzung und der stärkere Verhandlungspartner am Tisch der Reichen und Mächtigen wird sein Urteil fällen. Und auch, wenn Dinge anders würden, das lokale Leben verändert sich nur selten, auch dann, wenn dein Horizont längst nicht nur bis zur Haustüre reicht. Wie falsch konnte ich schon liegen?
Mir wird das erst heute bewusst. Wenn du etwas wirklich willst, musst du deinen Preis dafür zahlen. Jeder.
Die Erinnerungen meiner Eltern und Großeltern kamen mir wieder ins Gedächtnis. Als unser politischer Führer zu uns der gesamten Nation sprach, dass das, was wir in den letzten Jahren geleistet hatten ausreichend ist, um ein Teil der EU zu werden. Ganz offiziell. Doch innerlich hatte machte mir meine eigene Vergangenheit angst. Sprechen die Politiker wahr? Werden wir Teil der EU und sei es nur durch einen Handelsvertrag? Gespannt zählte ich die Monate, die noch blieben, bis das eintrat, was mein Großvater vor seinem Tod versprochen hatte, gleichzeitig die Stimme meines Vaters, wie das Teufelchen auf meiner Schulter, dass mir sagte, dass es jemand zu verhindern wisse und du dir keine Hoffnungen machen solltest. Wir werden nur Beobachter sein. Wir werden nur Beobachter sein. Ich schubste ihn von meiner Schulter und hoffte, er würde nie wieder kommen. Ich irrte.
Zuerst erfuhr ich es durch Kollegen. Das Abkommen zwischen EU und der Ukraine wurde gekippt. Es wird keine weiteren Verhandlungen geben. Kein gelobtes Land. Gehässig schwirrte der kleine Teufel um meinen Kopf und schnitt Grimassen. Wie konnte ich nur denken, es würde funktionieren?
Viele meiner Freunde waren empört. Die einschlägigen Social Networks blieben nicht still. Damit hatte ich nicht gerechnet. Nicht nur ich war enttäuscht, auch viele meiner Freunde, Freunde meiner Eltern waren über die Vorkommnisse pikiert. Meine Freundin hatte sich auch gemeldet. 3 Nachrichten im FB-Chat. „Hey, wie geht ™s dir? Wie war dein Tag?“ – „Hast du das mit dem Abkommen gelesen?“ und eine weitere Nachricht, keine 15 Minuten her „Davyd hat sich gemeldet. Es geht was auf dem Maidan. Hast du was vor? Wollen wir uns das anschauen? Corina und Edvard werden auch da sein. Wollen wir danach zu mir? Ich hab gerade eingekauft und wir könnten uns noch einen schönen Abend machen.“
Ich musste nur den Menschen folgen, die alle in Richtung unseres Unabhängigkeitsplatzes folgten. Ich kam am Maidan an. Dieser Ort hatte schon immer etwas Besonderes. Hier fühlt man die Stärke unserer Landes, der Einwohner dieses Landes stärker als irgendwo sonst.
Es dauert ein bisschen, bis ich die Orientierung wieder fand. So viele Menschen zusammen auf diesem starken Platz, hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Etwa 20 Minuten später fand ich auch meine Freundin, sie stand Corina gegenüber und schaute zuversichtlich in meine Richtung. Als sie mich bemerkte lächelte sie und nickte in meine Richtung. Ich werde mich noch lange daran erinnern. Dieses Lächeln diese Zuversicht. Sie ist der Grund, warum ich hierher gekommen bin.
Wir blieben. Klar. Wir waren nicht durchgängig da. Wir brauchten dickere Jacken, Schutz vorm Regen und vor der Kälte in den Nächten, aber unser Alltag, spielte sich auf dem Maidan ab. Ich sprach mit sehr vielen Menschen, jung und alt. Alle waren gekommen, weil sie sich durch unsere Regierung betrogen fühlten. Aber wir waren nicht bereit die Hoffnung an unsere Regierung, das Richtige zu tun, aufzugeben. Auch Klitschko kam dorthin, natürlich. Die Oppositionellen versuchten die aufkommende Bewegung für sich zu gewinnen. Doch die Meisten der Besucher waren eher, wie du und ich, Parteilos. Einfach nur unzufrieden.
Der Tag der finalen Abstimmung. Niedergeschlagen und sauer. Gerüchteweise ist durchgesickert, dass der Vertrag nicht unterschrieben werden würde. Das Public Viewing auf dem Maidan, mit einer Liveübertragung der Unterzeichnung versprach ein anderes Bild. Doch mit dem Ende und dem Wissen, dass wir unsere Freiheit nicht bekommen würden blieben wir zurück.
Die Stimmung kippte. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Wir riefen „Schande“ und „Revolution“. Revolution. So ein starkes Wort. Ich erinnerte mich. Beim Aufkommen dieses kleinen Wortes dieser Menschenmenge, fing ich den Blick eines geschätzt Ende 40-Jährigen Mannes. Was ich sah, war nicht unbedingt Enttäuschung, aber ich glaube es war Angst, oder jedenfalls Unbehagen. Er sollte Recht behalten.
Nur kurze Zeit später ging das erste Raunen durch die Menge. Twitter berichtete von Polizeikräften am Maidan. Die Berkut war Vorort. Wir wussten nicht genau weshalb. Bisher war es friedlich geblieben. Ich hatte großen Respekt, oder vielleicht auch einfach Angst vor ihnen. Aber ich und meine Freundin, wir hatten nichts zu befürchten. Doch sie kesselten uns ein. Um den gesamten Platz, waren die Männer in ihren Kampfuniformen versammelt.
Wir schickten die Frauen und Mädchen in die Mitte. Wir Männer füllten die Treppe und bildeten Menschenketten. Denn dies war unser Platz. Unsere Zeit. Unser Leben. Ich hörte unsere Nationalhymne. Die Frauen und einige Männer sangen sie. Auch, wenn ich nie so gefestigt war, gab mir das Kraft dort zu verweilen. Wir hatten ja nichts getan. Und plötzlich, entstanden aus einer kleinen Rangelei auf der Treppe, prügelten die Berkut auf uns ein. Mehr noch ins Leere, als wirklich jemanden zu treffen, aber ich merkte hier zum ersten Mal “ es ist ernst.
Ich erinnere mich nur vereinzelt, nachdem ich mit einer Menschentraube von der Treppe über die Glasfront rutschte, spürte ich den ersten Schlag der vermeintlichen Gummiknüppel der Berkut auf meinem Rücken. Schmerz, Wut und Adrenalin verbanden sich und auch, wenn sie mir es vielleicht übel nehmen könnten, das einzige, was mir durch den Kopf schoss, war ‚Lauf!‘ und ich lief. Ich suchte Schutz, doch spolterte und landete mitten zwischen 3 Berkut Soldaten, die sich mir persönlich annahmen. Die nächste Erinnerung war bereits am Ende dieses Abends. Ich wurde in einem Krankenwagen versorgt. Meine Freundin hatte mir verzweifelte Nachrichten auf meinem Handy hinterlassen, sie sei geflohen und habe mich in der Menschenmenge verloren. Ihr ging es gut. Bis auf eine Platzwunde am Kopf und Schmerzen an Rücken und Bein war ich auch ‚gut‘ davon gekommen.
Meine Freundin wollte ich nach Hause schicken, sie protestierte. Ich konnte ihr den Wunsch nicht abschlagen. Wir sollten alle gleich sein. Und gingen zusammen in eine der nahe gelegenen Kirche, da wir hörten, dass viele unserer Freunde dort auch bereits Schutz und Versorgung suchten. Wir blieben die nächsten 2 Tage dort. Wir sahen die Bilder von Amateurfilmern, die uns zeigten, wieviele Menschen plötzlich in der Stadt waren. Es war unbeschreiblich. Stark. Schön.
Wir hörten von Tumulten der Ultras in der Nähe vom Regierungsgebäude. Ich war hin und hergerissen. Wir waren uns nicht darüber einig, ob das gut ausgehen würde. Eines war uns klar. Es würde ein falsches Bild über uns liefern. Denn auch sie sind Extremisten. Das war uns eigentlich zuwider, dennoch hatten sie großen Zuspruch, denn sie wollten Rache. Rache dafür, dass man uns durch die Regierung schlagen ließ.
Periscope lieferte uns Livebilder. Es war grausam. Wie Krieg. Doch diese Nacht würde nur der Auftakt sein. Der Auftakt zu etwas viel Schlimmeren, was ich nicht bereit bin in Worte zu fassen.
Based on – Netflix – Winter On Fire